Aberglaube
Neubearbeitung des Artikels von Karl Hörmann durch Josef Spindelböck
Lexikon der christlichen Moral
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Im weiteren Sinn können mit dem Begriff "Aberglaube" (superstitio) alle Entartungen der Gottesverehrung zusammengefasst werden, d.h. jede Fehlform der Gottesverehrung hinsichtlich ihres Inhaltes und ihrer Form kann in diesem Sinn als Aberglaube bezeichnet werden. Die theologische Kritik ist freilich auf die Zusammenarbeit mit der Religionswissenschaft sowie auf ein rational zugängliches Unterscheidungskriterium der echten Gottesverehrung und wahren Religion ("vera religio") verwiesen. Um den Aufweis dieser Zusammenhänge geht es insbesondere der Fundamentaltheologie, welche sich um den philosophisch-theologischen Nachweis des Einlösung des Wahrheitsanspruchs und um die Rechtfertigung der christlichen Religion bemüht, wie sie durch die katholische Kirche in deren Wortverkündigung und sakramental-diakonalem Lebensvollzug zur Verwirklichung gelangt.

Im engeren Sinn, der der gewöhnlichen Sprechweise und auch dem vielfach üblichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch entspricht bezeichnet man unter "Aberglaube" jenen Ersatz echter Religion, in dem der Mensch sich loslöst von Gott und sich geheimnisvollen unpersönlichen Kräften oder (angeblich oder wirklich) dahinter stehenden übermenschlichen persönlichen Mächten zuwendet. Ein Teilbereich dieser Form des Aberglaubens wird - mit gewissen Unschärfen der Terminologie - auch als Magie bezeichnet.

1.  Eine Entartung (Deformation) der Gottesverehrung und damit zumindest objektiv eine Loslösung von Gott beginnt schon dort, wo die Verehrung zwar noch Gott erwiesen wird, jedoch Sinnloses oder Unrichtiges in ihren Dienst gestellt wird ("cultus indebitus"; vgl. Thomas von Aquin, STh II-II q.92 a.2).

1.1. Eine Verzerrung tritt ein, wenn Frömmigkeitsübungen unangemessen hoch bewertet werden, die für die Gottesverehrung an sich unwesentlich sind, und wenn dabei das Wesentliche vernachlässigt wird ("cultus superfluus"). Zündet jemand beispielsweise etwa eine Kerze vor einem Heiligenbild an, ohne dass er die Bereitschaft zum christlichen Leben hat, so wird die Gottesverehrung als solche unangemessen vollzogen. Freilich kann die Dynamik einer inneren Entwicklung zum Guten und somit einer echten Bekehrung bei solchen äußeren und unscheinbaren Zeichen ansetzen und hier ein Prozess eingeleitet werden, der die Vollgestalt der Gottesverehrung nicht positiv ausschließt, sondern zumindest einschlussweise anzielt. Keinem Menschen steht ein Urteil über das Herz eines anderen Menschen zu, und Gottes Geist vermag auch da zu wirken, wo dem äußeren Anschein nach das Gegenteil der Fall ist. "Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen, bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat" (Mt 12,20; vgl. Jes 42,3). Der Sache nach wird man aber sagen können: Durch eine solche Zerr- und Fehlform wird die Gottesverehrung verdinglicht und entpersönlicht und in ihrer Würde entstellt (vgl. Thomas von Aquin, STh II-II q.93 a.2; Alfons Maria von Liguori, Theologia moralis IV 4). Das Konzil von Trient (sess. 22) u. der CIC 1917 (can. 1261 §1) sowie auch der CIC 1983 (can. 839 §2) fordern die Bischöfe auf, das Aufkommen solcher Missbräuche wirksam zu verhindern. In den Sakramenten und in den Sakramentalien spielt mit Recht das materielle Zeichen eine wichtige und unersetzbare Rolle; es muss jedoch im Dienst der personalen Beziehung des Menschen zu Gott stehen und soll diese ermöglichen, jedoch nicht verdrängen. Die Gläubigen wären sonst ein Volk, das Gott zwar mit den Lippen ehrt, das Herz aber fern hält von ihm (vgl. Jes 29,13).

1.2. Entstellt wird die Gottesverehrung auch durch den Einsatz unwahrhaftiger Mittel ("cultus falsus"). Dies wäre beispielsweise ein Kult auf Grund erfundener Wunder oder Offenbarungen. Wer derart verfährt, verfolgt entweder von vornherein unlautere Ziele oder übersieht in blindem Eifer, dass durch solche Mittel nur Scheinerfolge erzielt werden können und die dem religiösen Leben wesentliche personale Beziehung des Menschen zu Gott nicht gefördert, sondern geschädigt wird (vgl. Augustinus, De mendacio 14,25, PL 40,505; Thomas von Aquin, STh II-II q.93 a.1; Alfons Maria von Liguori, Theologia moralis IV 3; CIC 1917, can. 2322;  CIC 1983, can. 1378 und 1379). Von daher ist es einsichtig, dass die Kirche gerade bei angeblichen Privatoffenbarungen und Erscheinungen sowie bei behaupteten Wundern und anderen möglicherweise übernatürlichen Phänomenen überaus streng prüft, bevor eine kirchliche Anerkennung der Echtheit oder zumindest des Nichtwiderspruchs zur allgemeinen Offenbarung erfolgt.

2. Noch weiter entfernt sich von echter Gottesverehrung, wer unter Loslösung von Gott Anschluss an geheimnisvolle unpersönliche Kräfte oder an übermenschliche persönliche Mächte sucht.

2.1. Verhältnismäßig harmlos mag es noch erscheinen, wenn er durch Übungen, die ihrer Natur nach offenkundig dazu nicht ausreichen, erwünschte Wirkungen herbeiführen oder unerwünschte abwehren will. Allem Anschein nach folgt er dabei der magischen Auffassung, der Mensch könne sich durch bestimmte Praktiken gewisser unpersönlicher Kräfte bemächtigen. Immer wieder aber macht man auch durchaus ernsthafte Versuche, unabhängig von Gott an übermenschliche persönliche Mächte Anschluss zu gewinnen und durch sie etwas zu erreichen (Magie).

2.2. Das Bemühen, in die Welt des Okkulten einzudringen, kann zwar prinzipiell von einem Forscherdrang beseelt sein, gegen den nichts einzuwenden ist (vgl. Parapsychologie), wird aber in den meisten Fällen doch eine bedenkliche abergläubische Note tragen (vgl. Okkultismus und Esoterik). Aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Abhängigkeiten, die sich für den Menschen daraus ergeben können und im Hinblick auf das Erfordernis einer wirklichen Gottesverehrung ist hier große Wachsamkeit und Vorsicht geboten.

 

Vgl. auch die Artikel "Magie" und "Okkultismus"!

 

Literatur

Bächthold-Stäubli, Hanns
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens
Berlin 2000 (de Gruyter)

Gerlach, Walter
Das neue Lexikon des Aberglaubens
München 2000 (Piper)

Hemminger, Hansjörg / Harder Bernd
Was ist Aberglaube?
Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen.
Gütersloh 2000

Wehr, Christian
Lexikon des Aberglaubens
München 1992 (Heyne)

 

Stand: 29.02.2004. Hinweise, Ergänzungen und Kritik erbeten (webmaster@stjosef.at)!


Der Katechismus der Katholischen Kirche schreibt dazu:

 

III „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben"

2110 Das erste Gebot verbietet, neben dem einen Herrn, der sich seinem Volk geoffenbart hat, noch andere Götter zu verehren. Es untersagt Aberglauben und Unglauben. Der Aberglaube ist gewissermaßen ein abartiges Zuviel an Religiosität, der Unglaube ein Zuwenig, ein der Tugend der Gottesverehrung widersprechendes Laster.

Aberglaube

2111 Der Aberglaube ist eine Entgleisung des religiösen Empfindens und der Handlungen, zu denen es verpflichtet. Er kann sich auch in die Verehrung einschleichen, die wir dem wahren Gott erweisen. So wenn z. B. bestimmten, im übrigen berechtigten oder notwendigen Handlungen eine magische Bedeutung beigemessen wird. Wer die Wirksamkeit von Gebeten oder von sakramentalen Zeichen dem bloß äußerlichen Verrichten zuschreibt und dabei von den inneren Haltungen, die sie erfordern, absieht, verfällt dem Aberglauben [Vgl. Mt 23,16—22].

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